Macchia

Choreografische Erzählung von Tilman Aumüller, Jacob Bussmann, Bettina Földesi, Ruth Schmidt


Dramaturgie: Friederike Thielmann


Textmitarbeit: Textspielkollektve Hoke


Mentoring: deuffert&plischke


Technische Unterstützung: Alexander Buers, Hendrin Borowski

Premiere: Mousonturm Frankfurt, 2014


Weitere Aufführungen: zeitraumexit Mannheim, Körber Studio Junge Regie

Jemand sagt: „Jemand geht zur Wand und“ - und jemand geht zur Wand. - Was gesagt wird, wird ausgeführt und was getan wird, wird beschrieben. Diese einfache und tautologische Regel ist die Grundregel von Maccia, einem Bühnenspiel für vier Personen. Nach dieser Regel choreografieren sich die vier Performer*innen Tilman Aumüller, Jacob Bussmann, Bettina Földesi und Ruth Schmidt in jeder Aufführung neu und damit das Stück. Dabei entstehen aus der tautologischen Regel überraschende Bilder, und die technischen Anweisungen summieren sich zugleich zu epischen Narrationen, in denen jede*r Anweisende schon im nächsten Moment zur Figur in der Erzählung eines anderen Performers wird. Bühnentext, Bühnenanweisung und Bühnenhandlung sind so in einem metaleptischen Labyrinth ineinander verschachtelt. Eine Situation, die im Text, der in jeder Aufführung neu entsteht, gedoppelt wird: Er erzählt von einem „Untersuchungsausschuss“, der in der Macchia, einem labyrinthischen Gebiet zwischen Meer und Land, ermittelt „was passiert ist“, und in dem jede*r Ermittelnde zugleich verdächtig ist.

Trailer

Pressestimmen

eXperimente - Aventis foundation vom 19.05.2014 über MACCHIA
“So entstand eine intensive und suggestive Atmosphäre. Die Ausführenden wurden zu Erzählern – Sprache und Bewegung wurden in Beziehung gesetzt. Die Akteure durchquerten den Raum, hoben die Arme, setzen sich hin, rannten, sprangen, flüsterten und bildeten dabei immer wieder neue Figuren und Formationen, deren Dynamik sich im Verlauf der 5-teiligen Performance immer weiter steigerte. All das passierte in einer durch weiße Linien abgegrenzten Fläche, die in Analogie zur mediterranen Gebüschformation „Macchia“ mit ihren Schlangen und trockenen Wurzeln, von den Akteuren äußerste Konzentration forderte, um nicht im Labyrinth der Anweisungen, Aktionen und Wiederholungen zu stolpern. Die Besucher erlebten eine Performance mit konzentrierter Spannung und der scheinbaren Leichtigkeit des Spiels, bei der – im Sinne von Fluxus – das Konzept und die schöpferische Idee im Vordergrund standen.”

Mannheimer Morgen vom 24.07.2014 über MACCHIA
“Ein kleiner Wettbewerb und großer Rätselspaß zugleich, den die Vierergruppe hier auf die leere Bühne bringt. Immer wieder werden hier Komplizenschaften gebildet und Missverständnisse ausgebaut. Dabei entstehen kleine Versatzstücke einer skurrilen Geschichte, die sich ihren Sinn immer wieder selbst verspielt. Ein wortwitziges Zerlegen von Wahrnehmungen, das vor allem mit feiner Absurdität punktet.”

Über das Stück

Auf der Bühne stehen vier Performer*innen, die sich gegenseitig Anweisungen geben, die sie nach bestimmten Spielregeln ausführen müssen. Der Text ist dabei in einem mehrstufigen Prozess kollektiver Autorschaft entstanden, und potentiell erweiterbar. Es gibt Sätze, die konkrete Handlungsanweisungen aussprechen (Jemand geht nach vorne), die Bewegungen zugleich in einen imaginativen Raum versetzen (Jemand geht durch die Macchia), oder sich beschreibend direkt ans Publikum wenden und die Anweisung zugleich als Aufforderung, etwas bestimmtes zu sehen, rahmen (Ihr seht ein Skelett in der Macchia liegen). Verbunden sind die Sätze durch ein rhythmisierendes „und“: Es ist die Frage der Mitspielenden an den nächsten Erzähler*, wie es weitergeht; es treibt als reihendes „und dann“ die Geschichte voran und es verbindet die einzelnen Anweisungen, verschiedenen Stimmen und Perspektiven, zu einem epischen Bogen. Auf diese Weise entsteht gemeinsam ein sich beständig fortsetzendes Sprachband, das zum einen die Körper und Bewegungen choreografiert und diese Choreografie aber zugleich in epischem Gestus zum Text einer Erzählung macht.
Die Regel, dass das, was gesagt wird, auch ausgeführt werden muss, bindet die Sprache von Anfang an an die Körper. Das „Jemand“ , mit dem viele Sätze beginnen, ist zunächst ein leeres Wort, ein Platzhalter, das sich, je länger sich ein Performer* auf diese Anweisung hin be-wegt, mit dessen Körper verbindet. Dieser findet sich so in der Erzählung eines Anderen wieder, die über ihn bestimmt, und ihm eine bestimmte Handlung, Geschichte usw. zuschreibt. Die Subjekt-Objekt-Struktur des performativen Aktes und der Sprache bildet sich so auf der Bühne ab, die wirklichkeitsschaffende symbolische Kraft von Sprache wird erlebbar und es kommt zum Konflikt zwischen dem Kollektiv, das gemeinsam erzählt, ermittelt, und dem einzelnen Körper, der nicht unter den Verdacht der Ermittler* geraten möchte.
Allerdings ist die autoritäre Position des Erzählers* und Sprechers* immer schon gebrochen, da ein Satz jederzeit von jemand anderem fortgesetzt, entwendet werden kann, und schon der nächste Satz sich auf den Körper desjenigen beziehen kann, der gerade eben noch gesprochen hat. Wie und was in dieser sich beständig verschiebenden Grundsituation erzählt wird, und welche Rollen die einzelnen Performer*innen zugeschoben bekommen, entscheidet sich im spielerischen Ausagieren in jeder Aufführung anders. Es werden Bündnisse geschlossen, Sätze umgedeutet, bis sich das Spiel zuspitzt und als letzte Möglichkeit nur der Bruch der Regel bleibt.
Macchia bezieht sich in dieser Konstruktion auf zwei sehr unterschiedliche künstlerische Konzepte des Sprechens. Auf der einen Seite auf den Fluxusscore, der eine Form der Anweisung ist, und auf ein Ereignis in der Gegenwart oder Zukunft drängt, und andererseits auf das (epische) Erzählen, das spricht, als ob das Ereignis schon in der Vergangenheit stadtgefunden hätte. In Macchia fällt beides - Anweisung für ein Ereignis in der Zukunft, und Protokoll der Vergangenheit - auf eine merkwürdige Weise ineinander. Die Anweisungen der Spielenden drängen auf eine unmittelbare Verwirklichung, die Ermittlung der Erzählenden aber kann nur das besprechen, was schon geschehen ist und weil es gesprochen wird, noch einmal getan werden muss. Es entsteht ein Text, in dem verschwimmt, ob eine Anweisung eine Vorschrift in die Zukunft ist oder ein Bericht über schon Geschehens. Spricht dieser Text über ein Ereignis, wiederholt oder erzeugt er es? Die Körper werden zu grotesken Speichern des Textes, sie werden deformiert durch die Abla-gerung der verschiedenen Anweisungen - im selben Moment geben sie aber auch Anlass, Haltungen umzudeuten und die Geschichte weiterzudenken. In dieser versuchsweisen Aufhebung der Differenz von Welt und Sprache fragt Macchia nach dem Theater und sucht nach einer Weise des zeitgenössischen Texttheaters.

Eine Produktion von ScriptedReality in Kooperation mit Tanzlabor_21/Tanzbasis Frankfurt_Rhein_Main im Rahmen des Projektensembles PET_12.